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Japanische Gartenkunst

Themen:
Der japanische Garten heute
Geschichte und Philosophie des japanischen Gartens
Die Leere im japanischen Garten des Zen
Ryoan-ji und sein Tempelgarten im kare sansui Stil einer Trockenlandschaft

 
 
Die Leere im japanischen Garten des Zen
"Suche nach dem, was die Zeit nicht verändert"
(Matsuo Basho, 1644-1694, buddhistischer Mönch und Dichter)
 
In diesem Spruch Bashos verbinden sich taoistische Kosmologie und der zen-buddhistische Blick 'hinter die Dinge'. Gleichzeitig eröffnet er einen Weg zum Verständnis des japanischen Gartens, der schon vor der Zeit Bashos auf eine über tausendjährige Entwicklung von China nach Japan vollzogen hat.
Zwei Axiome sind hier besonders hervorzuheben, die dem westlichen Verständnis und seiner ästhetischen Tradition eher fremd sind, da hier Materie und Geist als zwei verschieden Prinzipien verstanden werden. Hingegen entspricht das Prinzip einer allumfassenden Einheit dem Kern sino- japanischer Weltsicht.
 
Natur als kosmische Entität umschliesst in einer Triade die organische belebte wie die unbelebte mineralische Welt einschliesslich des Menschen, wie er in diese Welt eingreift. Göttliche und menschliche Sphäre fliessen als Einheit zusammen.
Im Garten des frühen Chinas wird daher nicht zwischen Natur- und Kunstform unterschieden. Beides sind gleichrangige Mittel, den Garten auf eine spirituelle Bedeutungsebene als ein metaphorisch in sich geschlossenes Weltganzes zu heben. Durch Maler und Poeten findet diese kosmologische Weltsicht von Natur bildhaften Ausdruck bevor dies sich in den Gärten der Aristokratie, reichen Bürger und Beamten formal auszubilden beginnt. Ahnenkult und Shintoismus Japans deuten dies weiter aus, da Berge und Felsen, Wälder und Bäume, wie auch Wasserfälle und Bäche von Ahnengeistern und Naturgötter bevorzugt benützt und 'bewohnt' werden.
 
Der westliche Kulturkreis unterscheidet konsequent räumliche und zeitliche Perspektiven im wissenschaftlichen Anspruch, die Welt determinieren und kontrollieren zu können. Die östliche von Taoismus und Buddhismus geprägte Sicht ist Ausdruck einer Interdepenz von Raum und Zeit. Alles fliesst, ist ständig im Wandel: Zeit ist ein wesentlicher Aspekt von Materie, die unterschiedslos, ob belebt oder unbelebt, von einer alles durchdringenden‚ psychophysikalischen Energie Ch'i oder Ki charakterisiert ist. In dieser gegenseitigen Abhängigkeit von Raum als Materie-, Form- oder Ort- Komposit, und Zeit wird die bipolare Natur aller Phänomene geordnet. Nichts existiert durch sich selbst sondern durch interdepente Beziehungen in jenem Masse, wie sich das Yin und Yang gegenseitig bedingen. Yin vertritt hierbei den Aspekt von Zeit und Yang jenen einer auf sich selbst bezogenen Dinglichkeit. Zeit ist daher eng mit dem Wechsel von einer Erscheinungsform in eine andere verbunden. Ausserhalb dieser Phänomene existiert Zeit nicht und ist in der Flüchtigkeit des Gegenwärtigen nicht wahrnehmbar. Man spricht daher von vier Phasen, nach welchen sich die Zyklen alles kosmischen Geschehens wieder schliessen:

1. Die Formung- 2. Manifestierung, Präsenz- 3. Auflösung, Zerstörung- 4. Nichts ist manifest.
 
In dieser vierten Phase verbirgt sich das zeitlos Unveränderbare, jenes von Basho gesuchte, das Wesenhafte in seiner unveränderlichen absoluten Wahrheit.
 
Die Schule des Zen des Mahayana Buddhismus versteht die tiefere Bedeutung dieser vierten Phase als Sichtbarmachung von 'Leere'. Diese Leere wird nicht als 'Nichtheit' im nihilistischen Sinne verstanden. Diese Leere zeigt vielmehr, dass alle Phänomene unserer sogenannten realen Welt nicht als das erscheinen, was sie wirklich sind. Sie gehören in den Bereich der relativen Wahrheit, denn das eigentliche Wesen aller Erscheinungsformen unserer Umwelt versteckt sich dahinter, wo die absolute Wahrheit zu finden ist. Nämlich dort, wo Leere die Wahrnehmung von 'Nicht-Dualität', die jegliches Konzept von Sein oder Nichtsein, von Verborgenem oder Sichtbargemachtem, von Bewegung oder Nichtbewegung, von Einzelnem oder Vielfachem transzendiert. Leere ist das universelle Potential jenseits von Zeit, aus dem heraus sich neue Erscheinungsformen manifestieren können und zeigt auf den zenbuddhistischen Erkenntnisweg des zazen, der meditativen Versenkung. Seine Wahrnehmung erschliesst sich nicht im analytischen Denken über ein bestimmtes Phänomen, sondern nur in der kontemplativen verinnerlichten Betrachtung. Leere steht als Symbol für Auflösung von Zeit in Gegenwart und Raum, denn nichts Permanentes existiert hinter der relativen Welt der Phänomene. Da alles fliesst, wird die Kernaussage einer buddhistischen Sutra verständlich: Leere ist Form, Form ist Leere. Dies mündet in den Begriff des Zen: 'munen muso', kein Gedanke, keine Form. Dies liegt sehr nahe an der heutigen Erkenntnis, dass Materie Energie und Energie Materie ist.

Der japanische Garten in seiner vergeistigten Form und Ästhetik vermittelt sich dem Betrachter und Besucher im Verständnis dieser beiden Axiome: Der Garten drückt als geistig-physische Einheit mit seinem Schöpfer die Wesenhaftigkeit von Natur als kosmisch-universelles Ganzes aus. Leere als Transzendenz absoluter Wahrheit von Nicht-Dualität vereinigt Zeit und Raum.
 
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Jochen Wiede Landschaftsarchitekt
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